Recherchetheater am DT
Sie krabbeln nicht aus der Wodkaflasche, wohl aber in die Manteltasche und unter den Teppich – Braune Pelzkäfer alias Smirnoff
Wodka-.Käfer, das klingt tatsächlich cool. Natürlich ein wenig ekelhaft, aber in erster Linie so ähnlich wie Trinkerklub, und so ein Trinkerklub ist wie die echten, ostdeutschen Schrippen offensichtlich ein Merkmal des ausgestorbenen, irgendwann einmal in die Mythen eingewanderten Prenzlauer Berges. Das, was es damals gab: Schrippen, Trinkerklub, Wodka.
http://www.berliner-zeitung.de/berlin/trinkerclubs-und-echte-schrippen-in-prenzlauer-berg-23785764
Tatsächlich hat ein Wodka-Käfer nicht besonders viel mit einem nächtlichen Besäufnis auf dem fliederbestandenen Hinterhof in der ehemaligen Zone zu tun. Diejenigen, die damals auf dem aufgesprungenen Beton herumlagen, sind inzwischen entweder tot oder wandern als unverbesserliche Alkoholiker die Stargarder Straße auf und ab oder sie leben gut getarnt ein ganz normales Leben inmitten der hippen Neubevölkerung und freuen sich über die vielen, tollen Spielplätze, auf denen natürlich auch die Nachkommen der Ureinwohner klettern lernen und Sand auf fremde Mütter schmeißen. (Ja, ja: Es gibt uns wirklich. Wir sind immer noch hier. Wir sind hier aufgewachsen und schon unsere Urgroßeltern haben hier gewohnt. Aber wir geben uns nach Möglichkeit wie zugewanderte Schwaben. Auch wenn es mit der Sprache ein wenig hapert.)
Wodka-Käfer heißen Wodka-Käfer, weil der Biologieprofessor, der sie entdeckt hat, den Familiennnamen Smirnoff trug. „Attagenus smirnovi“,so heißt er wirklich oder „Brauner Pelzkäfer“,was eigentlich noch ekelhafter klingt als Wodka-Käfer. Und das war es auch, unaussprechlich, unüberwindlich ekelhaft, wenn im alten, von der Zonenwohnungsverwaltung beherrschten Prenzlauer Berg ein einsamer Mensch verendete und in der eigenen Leichenbrühe versank. Wenn man aus Wohnungsnot durch die Treppenflure zog und illegal Türen öffnete, weil das vielleicht eine freie, nicht registrierte Bruchbude war, bekam man so etwas zu sehen. Unvergesslich, für alle Zeiten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Brauner_Pelzkäfer
Damals,in den 80ern, lief Irina Liebman durch den Hausflur und klingelte an den Türen, um für ihr Buch „Berliner Mietshaus“ zu recherchieren. Die Idee, das heute zu wiederholen, ist definitiv genial. Es gab/gibt ähnlich Projekte. 2011 besuchte Stephanie Quitterer ihre unbekannten Nachbarn und bot ihnen Kaffee und Kuchen im Tausch gegen Geschichten an, daraus entstand ein spannender Blog. Ethnologie im Umfeld der täglichen Laufpfade, schon als Projekt beeindruckend. Die Ergebnisse sind absolut lesenswert.
https://hausbesuchwins.wordpress.com/
http://www.prenzlauerberg-nachrichten.de/alltag/_/hausbesuchwins-17509.html
Bei Anne Jelena Schulte erfährt man nicht wirklich, was passiert ist, als sie vor der Tür stand. Offensichtlich hat sie Interviews geführt, dann hat sie diese Interviews verdichtet. So nennt man das, wenn aus dem Material literarischer Text gekocht wird, wie bei der Pflaumenmarmelade, die ja naturgemäß ebenfalls dicker ist als Pflaumensaft und aus dem Glas heraus leuchtet, weil die Farbe ein wenig grell ist. Ich habe den Text nicht gelesen, ich schreibe hier über die Aufführung im Deutschen Theater. Bei begründetem Interesse ist er zugänglich:
http://www.theatertexte.de/nav/2/2/3/werk?verlag_id=drei_masken_verlag&wid=o_1836252143
Das, was ich im Deutschen Theater gesehen habe, war im tiefsten, sehr enttäuschenden Sinne redundant. Vielleicht könnte man sich noch an der Figur des alten Kammerjägers festhalten, der irgendwie dafür sorgt, dass das Ganze nicht auseinander fällt. Aber ich habe weder irgendetwas auch nur ansatzweise Neues erfahren, noch gab es diese leichte Verschiebung, die beim Übergang in das künstlerische Modell einen neuen Reiz setzt und das Altbekannte in einen neuen Horizont verpflanzt. Freiberufler sind Freiberufler und prekär und zum Teil verrückt. Spießer sind Spießer. Wer seine Socken auf der Leine nach Farben sortiert, hat einen Dachschaden. Wer immer noch glaubt, dass das, was er da in einem StartUp täglich tut, irgendeine Rolle spielt, hat nichts kapiert. Großartig. Das habe ich so wirklich vorher schon gehört, siehe Trinkerklub im Prenzlauer Berg. Sicherlich haben sie ihr mehr erzählt. Es ist irgendwo versickert.
http://www.prenzlauerberg-nachrichten.de/kultur/_/hauser-bleiben-menschen-gehen-172032.html
Ich habe mich schrecklich gelangweilt. Ich bin rausgegangen. Der einzige interessante Moment entstand, als der Kammerjäger auf meinen Abgang reagierte. Ich habe Michael Gerber schon immer für seine grandiose Arbeit als Schauspieler bewundert. An diesem Abend hat er mich zum ersten Mal angesprochen, vor allen Leuten. Das ist etwas für mein Tagebuch.
Auf dem Nachhauseweg habe ich überlegt, wie es mir gefallen hätte, wenn ich mein „Material“ in diesem Stück wiedergefunden hätte. Wenn ich eine Theaterjournalistin in meine Wohn- und Arbeitsinstallation gelassen hätte. Ich liebe Spinnen, sie überwintern auf meinem Schreibtisch und in meiner Waschmaschine. Wahrscheinlich hätten sie einen Bühnenauftritt gewonnen, wenn sie nicht dem Zwang zum Klischee zum Opfer gefallen wären. Wie hätte ich mich gefühlt? Darf ein Theaterstück seine Informanten denunzieren? Darf es sie dem satten Publikum des Staatstheaters zum Abnagen überlassen? Ich denke, das darf es nicht.
Meine Einschätzung des Theaterabends deckt sich nicht unbedingt mit dem Urteil anderer, andere Leute haben auch Spaß und Zugewinn erlebt:
https://www.freitag.de/autoren/kulturblog/klingeln-im-prenzlauer-berg-wodka-kaefer
http://postmondaen.net/2016/03/03/wodka-kaefer-im-deutschen-theater/
Und Anna Jelena Schulte wird zu den interessanten Autorinnen des zeitgenössischen/zeitgemäßen Recherchetheaters gerechnet. Ruth Feindel und Tobias Rausch erwähnen sie in ihrem sehr aufschlussreichen Artikel über das Recherchetheater als Gattung, der es möglicherweise tatsächlich gelingt, etwas von der Welt zu erfassen. Es gehört sich einfach, dass ich das mit hinschreibe, auch wenn ich es so nicht teile: