http://www.showcasebeatlemot.de/de/ueber-das-stueck_32.html
Wenn ich es für Geld machen würde, wäre ich verloren. Es gäbe nichts zu essen, kein Brot, kein Fleisch, keinen Wein. Es fehlt das Blut. Blut gäbe es auch nicht, höchstens Taubenblut oder Fischblut, wenn man so etwas selbst aus dem Wasser ziehen könnte. Vor vier Tagen habe ich im HAU (aus Versehen) zum zweiten Mal das Stück über die Nazi-Supermenschen von Showcase gesehen und seitdem läuft bei mir im Hintergrund ein äußerst seltsamer Film ab. Keine Ahnung, wie man dieses Netz aus Irrsinn und Spielerei zusammenfassen könnte. Zeitmaschine, Quantenschaum, Alfred Hitler, Caesar und der völkische Gruß. Naziunsinn in sauberem Latein. Und nicht zu vergessen, dass sie die Ursuppe mit Bärlauch kontaminiert haben,was mir eigentlich fast jede Scheußlichkeit erklärt, die gegenwärtig so vorfällt. Die einzige Irritation wäre die Ungereimtheit, dass dies alles in einem Paralleluniversum stattfinden soll, wo es doch so gut zu unserem eigenen Abfallhaufen passt.
Die erste Stunde der Performance verfliegt bei leichten Magenkrämpfen unter Lachanfällen. Doch dann wird es plötzlich ernst: Der Herr erscheint und trägt sein Kreuz. Das Abendmahl gibt es auch: leuchtend blaues Plastik für die Hostie und zahlreiche Flaschen Blut. In meiner näheren Umgebung beginnen einige Zuschauer damit, sich volllaufen zu lassen. Unter diesem Aspekt ist die Performance kaum mit einer anderen Gelegenheit vergleichbar: Niemand sieht dir ins Gesicht, Jesus autorisiert das Geschehen, kostenloser Rotwein. Dazu eine genial dekonstruktive Publikumsverarsche, zum Wandern in weit entfernte Welten sehr geeignet. Für meinen Geschmack eine Winzigkeit zu viel an Nebel, aber noch im Rahmen.
Sehr gelungene Visualisierungen der hundertfach gehörten, gelesenen und im Kino gesehenen Monstrositäten von gekrümmter Raumzeit, Wurmlöchern, Fehlern im Baukastensystem des Egos bei Fehllandungen im falschen Kontext. Alles zerwabert im Schaum. Die Raumanzüge sind genau so abgeranzt und zerfleddert, dass man an die ganz großen Namen des Genres denkt, ohne den üblichen Würgereiz, ganz sanft und achtsam. Die brutale Version der harten Science Fiction würde zu lange dauern: Röhrenknochen verwesen niemals, Endzeit, Moleküle vereinigen sich nach dem Zeitsprung zu sonstwas, aber niemals zum ursprünglichen,von Gott in der Prädestination gesegneten Ich.
Es ist Zeit für den Leerlauf eingeplant (siehe sich betrinken), Langeweile als mit dem Ticket gekaufter Luxus. Sehr akzeptabel, bei mir wanderten die Gedanken in das Mercien des achten Jahrhunderts. Das liegt an der BBC-Serie „The Last Kingdom“ nach Bernard Cornwell, da gibt es auch den Wechsel von Nebel, Bärlauch und Blumenwiesen. Und viele untote Königinnen, so ähnlich wie zum Beispiel Kleopatra. Das alles hat mir sehr gefallen. Ich würde ohne jede Ironie auch ein drittes Mal reingehen. Mir gefällt es, wenn die Struktur vorgeführt wird. Hier passiert es in einer intelligenten Art und Weise, bei der man auch noch vor sich hin grinst. Das fühlt sich gut an.
Was mir immer noch irgendwie Probleme macht, ist die Sache mit der Blasphemie. Und jetzt kommt das, was ich eigentlich nicht aufschreiben kann, weil ich für meine eigenen Gedanken kein Konzept habe. Ärgert es mich, wenn in einer ganz und gar akzeptablen Performance Jesus die Kreuze schleppt, weil er Probe hängen muss? (Mit Monthy Python hatte ich keine Probleme.) Was ist da in meinem Kopf los? Ich bin im harten Sinne ungläubig, ich halte die kanonischen Evangelien für das, was sie sind: eine der Macht des spätantiken Kaisertums angepasste Konstruktion. Für das, was übrig blieb, als eine vielstimmige Diskussion der Zentralmacht geopfert wurde. Oder doch nicht? Wenn die Kirche seit mindestens 1700 Jahren die Anmaßung besitzt, das Narrativ von Opfer und Verweigerung zu steuern, so gibt es doch ebenso lange – oder eigentlich sogar noch länger – das Gegennarrativ, das als ewiger Sand im Getriebe der Wahrheit knirscht. Das alles finde ich verwirrend. Es löst sich nicht, wenn ich über eine Blasphemie lachen kann. Es ist seinerseits ein wenig wie das Saufen: Es tut gut, aber später ist der Anlass immer noch der gleiche, auch wenn die Flasche inzwischen leer im Fluss schwimmt.